„Salafismus, Fundamentalismus, Extremismus … Hä?“ – Religiöse & politische Begriffe erklärt
Disclaimer
Die folgenden Begriffe sind analytische Näherungen und Sammelbegriffe, keine feststehenden Kategorien.
Ihre Bedeutungen verschieben sich je nach Zeit, Region, Sprache und Akteursgruppe, sie werden von Medien, Behörden und Bewegungen unterschiedlich verwendet und auch strategisch bestritten.
Entsprechend sind die beschriebenen Phänomene nicht sauber voneinander zu trennen, sie überschneiden sich in Zielen, Praktiken und Argumenten, und ihre Abgrenzungen bleiben immer kontextspezifisch.
Inhaltsverzeichnis
Fundamentalismus
- Fundamentalismus ≠ „Strenge“ oder persönliche Frömmigkeit
- Sondern: Anspruch auf festlegbare, „wörtliche“ Wahrheit und Ablehnung moderner Auslegungen/Werte
- Fundamentalismus existiert in verschiedenen Traditionen und Religionen
- „Modernes“ Wort aus versch. religiösen Strömungen im 19. Jh. (nicht außerhalb des Kontexts denkbar)
- Typisch: Absolutheitsanspruch, Freund-Feind-Denken, Abwertung anderer Wissensordnungen
- Politische Einordnung: kann konservative bis „rechte“ Projekte stützen, ist aber nicht automatisch „extrem“
- Meist genannte Beispiele: Christliche Fundamentalist*innen oder Salafist*innen
Religiöser Extremismus
- Nicht „mehr Religion“, sondern die gezielte Politisierung religiöser Deutungen, um eine exklusive Ordnung durchzusetzen
- Kennzeichen: Ablehnung pluraler Gesellschaft, intensive Feindbildproduktion und der Wille, Regeln des demokratischen Miteinanders auszuhebeln
- In der öffentlichen Sprache wird das oft mit „extrem“ oder „rechtsextrem“ zusammen gedacht; real existieren aber unterschiedliche Lager und Mischformen
- Meist genannte Beispiele: Islamismus, christlicher Nationalismus
Islamismus
- politische Ideologie, die Religion und Staat verschränkt und islamische Normativität zur Basis von Gesetzgebung machen will
- Innerhalb des Islams sehr unterschiedliche Strömungen: legalistisch, sozialbewegungsorientiert, militant
- Wichtig: Islamismus ≠ Islam (Nicht alle Muslim*innen sind Islamist*innen!)
- Politisch reicht das Spektrum von parlamentarischen Projekten bis zu Gruppen, die international als terroristisch eingestuft werden
- Meist genannte Beispiele: Hamas
Salafismus
- Fundamentalistische Strömung innerhalb des Islamismus, die eine Rückkehr zum vermeintlich „reinen“ frühen Islam fordert
- Reicht von missionarischen (nicht-gewalttätigen) bis zu jihadistischen (gewalttätigen) Ausprägungen
- Nicht alle salafistischen Gruppen befürworten Gewalt; gleichzeitig dienen salafistische Deutungen oft als ideologische Ressource für gewaltbereite Milieus
- Sozial wirksam durch klare Autoritätsmodelle, strikte Lebensführung und starke Binnenbindung
- Meist genannte Beispiele: Die wahre Religion, IS, al-Qaida
Christlicher Nationalismus
- Verschmelzung von christlicher Symbolik mit nationaler Identität
- Der Anspruch: „Unsere Nation ist christlich und soll so geformt werden.“
- Häufig verbunden mit Frauenfeindlichkeit (patriarchale Geschlechterordnung), Queerfeindlichkeit, Rassismus
- Politisch meist in „rechten“ Projekten anschlussfähig, von konservativ bis rechtsextrem, je nachdem, wie offen demokratische Grundnormen abgelehnt werden
- Meist genannte Beispiele: Trump-Anhänger:innen beim Sturm aufs Kapitol
Terrorismus
- Keine Ideologie, sondern eine Methode
- gezielte Gewalt gegen Zivilist*innen, um politische Ziele zu erzwingen
- Kann religiös gerahmt sein, aber auch nationalistisch, rechtsextrem, linksextrem, separatistisch oder staatlich
- Entscheidend ist die strategische Legitimation von Gewalt und die Ansprache eines Publikums, das eingeschüchtert oder mobilisiert werden soll
- Meist genannte Beispiele: 9/11, Breivik, IS-Anschläge, NSU
Zusammenhänge
- Vereinfacht: Glaube → Radikalisierung → Fundamentalismus → Extremismus → Terror (erklärt aber die Realität schlecht)
- Viele religiöse Menschen radikalisieren sich nicht; Radikalität kann auch pazifistisch oder sozialreformerisch sein
- Wirksam sind Geflechte aus Deutungen, Führungsfiguren, Geschlechter- und Männlichkeitsentwürfen, sozialer Marginalisierung, Gewalt- und Kriegserfahrungen, Medienökologien, transnationalen Netzwerken und staatlicher Repression
- Fundamentalistische Milieus können Extremismus begünstigen, verursachen ihn aber nicht zwingend
- Terrorismus kann religiös begründet werden, muss es aber nicht
Politische Labels
- „Rechts“, „radikal“, „extrem“ sind keine neutralen Begriffe
- In vielen Kontexten meint „rechts“ konservative bis nationalistische Positionen, „rechtsradikal“ radikale Programmatiken, „rechtsextrem“ die Ablehnung demokratischer Grundnormen und oft völkische Ordnungsentwürfe
- Religiöse Extremismen überlagern diese Felder häufig, sind aber nicht deckungsgleich
- Wichtig ist, wer diese Labels vergibt, mit welchen Interessen, und wie Bewegungen sich selbst beschreiben (bspw. wird der Islam gerne als rechts bezeichnet, aber das Christ*innentum nicht)
Fazit & Schutzfaktoren
- Nicht jede religiöse Überzeugung ist fundamentalistisch oder extremistisch
- Problematisch wird es, wenn exklusive Wahrheitsansprüche mit politischer Machtfusion, Feindbildlogik und Gewaltlegitimation zusammenkommen
- Sinnvolle Gegenstrategien verbinden Wissen, demokratische Teilhabe, soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Antirassismus und kluge Prävention
- Merke: Kritik an religiösem Extremismus ≠ Feindlichkeit gegenüber Religion
- Kritik an religiösem Extremismus = Einsatz für pluralistische, rechtsstaatliche Ordnungen
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So schaffen wir mehr Klarheit über die Verflechtungen von Religion, Politik und Gewalt – ohne Pauschalisierungen.
Dieser Beitrag ist in Zusammenarbeit mit Dr. Jessica A. Albrecht von @geschlechtmachtwissen entstanden.
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