,

Das Leiden als Frau mit ADHS

◷ Geschätzte Lesedauer: 3 Minuten

Oder auch:

Warum ich meine ADHS manchmal hasse.

Ich fühle mich ungenügend

Die vergangene Woche war sehr schwer für mich. Ich habe so viel geweint und so viele Alpträume gehabt wie schon lange nicht mehr, weil mich leider das Leben als neurodivergente Frau in einer neurotypischen, männlich dominierten Gesellschaft wieder mal an meine Grenzen gebracht hat. Und das frustriert mich extrem.

Denn auch wenn ich als ADHSlerin viele Ideen, Gedanken, Gefühle und allgemein viel Potenzial habe, habe ich gleichzeitig auch wenig Kraft, diese umzusetzen, weil ich erst einmal die neurotypischen Standards der Gesellschaft erreichen muss. Und allein das erfordert im Alltag schon fast meine gesamte Kraft bzw. fast alle meine Löffel (Erklärung zur Löffel-Theorie in meinem Blogartikel: „Die Löffel-Theorie: Wenn der Tag mehr Löffel erfordert, als du hast“).

Das Ergebnis ist, dass ich mich kontinuierlich schlecht fühle, nicht hinterherzukommen. Doch ich fühle mich nicht nur schlecht, weil ich nicht genug leiste und nicht „funktioniere“. Denn wenn ich mich schlecht fühle, kann ich nichts leisten und nicht funktionieren. Es ist ein Teufelskreis. Und das, obwohl ich hoffte, dass sich seit meinem Freikirchen-/Sektenausstieg in 2022 und meiner ADHS-Diagnose in 2024 schon genug geändert hat, damit das nicht mehr so passiert.

Meine Andersartigkeit ist (nicht) falsch

Seit Frühjahr 2024 habe ich meine ADHS-Diagnose und weiß seitdem, dass viele meiner guten als auch schlechten „Charaktereigenschaften” eigentlich gar keine Charaktereigenschaften sind, sondern schlichtweg ADHS-Symptome. Ich bin unaufmerksam, desorganisiert, hyperaktiv, impulsiv, affektlabil – aber nicht, weil ich faul, egoistisch und undiszipliniert bin, sondern weil mein Gehirn einfach anders funktioniert. Anders ist nicht schlechter. Sollte es zumindest nicht sein. In der Theorie weiß ich das. Dennoch bleibt oft genug das Gefühl, nicht zu genügen, weil es in der Praxis in unserer Gesellschaft eben doch so ist: anders = falsch.

Ich habe Angst

Besonders als neurodivergente Frau ist der Leidensdruck in dieser ableistischen, kapitalistischen Gesellschaft, die für neurotypische Cis-Hetero-Männer gemacht ist, immens. Menschen wie ich erfahren besonders viel Benachteiligung im Bildungs- und Gesundheitssystem, in der Arbeitswelt und in der Bürokratie und werden zudem sozial stigmatisiert.

Wo man auch hinblickt, sieht man noch immer viel zu häufig starre, unflexible Strukturen (wie bspw. fehlende Gleitzeit oder Festhalten an typischen Lernstilen), ein geringes Verständnis für ADHSler:innen und ihre Bedürfnisse, massive Vorurteile, fehlende individuelle Förderung sowie fehlende Therapiemöglichkeiten und Aufklärung.

Und dank des Rechtsrucks entwickelt sich unsere Gesellschaft auch immer stärker wieder dahin. Das bricht mir das Herz.

Denn wenn ich das Erstarken des Rechtsextremismus beobachte, dann sehe ich all das, was ich über zehn Jahre lang in meiner ehemaligen Freikirche bzw. Sekte erleiden musste. Ein Kleingehalten- und Unterdrückt-Werden und das Verstecken meines wahren Ichs als neurodivergente Frau.

Doch ich durfte in den letzten Jahren viel aufarbeiten und reflektieren. Daher weiß ich nun umso besser, dass ich gerade weil ich anders als die neurotypische Gesellschaft bin, selbstbewusst & selbstwirksam Entscheidungen treffen, Grenzen für mich setzen und auf die Bremse treten muss. Auch wenn ich das Gefühl habe, Gas geben zu müssen.

Denn eines steht fest: Wenn ich mich dieser ableistischen Gesellschaft entsprechend „richtig“ verhalte, handle ich mir selbst gegenüber falsch und mache mich kaputt.

Ich revidiere meine Aussage

Ich hasse nicht meine ADHS oder gar mich selbst und mein ADHSlerin-Sein. Ich hasse diese Gesellschaft manchmal. Ich hasse diesen Leidens- und Leistungsdruck. Ich hasse es, dass Menschen wie ich nicht gerecht behandelt werden.

Unter anderem deshalb wähle ich links-grün. Weil ich als neurodivergente Frau in dieser Gesellschaft nicht mehr leiden, sondern endlich gerecht und gleichwertig behandelt werden möchte. Denn eine soziale Politik könnte bspw. bewirken, dass (neurotypische) Menschen für den Umgang mit neurodivergenten Personen / Mitarbeitenden / Schüler:innen geschult werden müssen, dass Arbeits- und Lernumgebungen sowie unsere Bürokratie inklusiver sein müssen und dass ADHSler:innen besser gefördert werden.

Und darum möchte ich an euch appellieren: Wenn ihr nicht für euch selbst wählen geht, weil ihr privilegiert seid, dann geht für Menschen wie mich wählen, die in unserer Gesellschaft diskriminiert werden, die leiden und die übersehen werden. Wählt sozial. Wählt links-grün.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert